Seite 43 - Schumpeter School Alumni e.V. Jahresmagazin 2010

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Schumpeter School of Business and Economics/Wissenschaft - aus aktuellem Anlass
Indem die Europäische Union das Umweltschutzziel in den Lissaboner Vertrag
aufgenommen hat, ergibt sich mit Blick auf die EU eine ähnlich kritische Frage-
stellung. Darüber hinaus gilt es zu fragen, ob die Europäische Kommission einen
EU-Strombinnenmarkt hinnehmen darf, in dem in einigen Ländern die Atom-
stromerzeugung erheblichen Versicherungsanforderungen unterliegt, während in
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cherung erfolgt. Hier gibt es eben sehr kritische Fragen zur EU-Beihilfenaufsicht.
(2) Die in der Öffentlichkeit verbreitete Aussage, dass der Staat bzw. die Gesell-
schaft das Restrisiko eines Super-GAUs bzw. eines schweren Störfalls in einem
Atomkraftwerk trage, ist grundfalsch: Der Staat bzw. die Steuerzahler/innen tra-
gen bei einem Super-GAU rund 99% der Schadenskosten, also nicht ein gerin-
ges Restrisiko, sondern das Hauptrisiko; nur das minimale Restrisiko trägt die
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grundlegende Prinzipien der Marktwirtschaft und widerspricht etwa völlig dem
Euckenschen Grundsatz der vollen Haftung von Produzenten in einer Marktwirt-
schaft. Ein Atomkraftwerk bzw. die Muttergesellschaft haftet in Deutschland, der
Schweiz und Japan unbegrenzt bei Schäden - das ist aber nur eine Pseudo-Haftung
auf Papier, da bei einem schweren Atomunfall der Marktwert des betroffenen
Energiekonzerns massiv einbricht. Ob man über Zugriff auf Firmenvermögen
bei einem Super-GAU jemals auch nur 60 Mrd. € an Schadensersatzansprüchen
(1% der vermuteten Schadenssumme nach EWERS/RENNIGS & WELFENS,
2% bei Zugrundelegung der Schätzung der Schweizer Sicherheitskommission
für einen Schaden in der Schweiz) geltend machen könnte, ist für jeden Atom-
stromkonzern der Welt zu bezweifeln. Das Atomunglück von Fukushima hat
für jedermann verdeutlicht, wie stark der Firmenwert eines Atomstromkonzerns
schon bei einem halben GAU-Unglück einbricht und wie groß die Schädigung
der Region bzw. der Menschen und ihres Eigentums nah und fern sein kann. Der
Satz von der angeblich unbegrenzten Haftung hat faktisch im Wesentlichen für
die Atomstromindustrie nur die bequeme Funktion, eine Haftungsillusion aufzu-
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Ölkonzern, der bei einer schwerwiegenden Havarie einer Ölplattform auch hohe
zweistellige Entschädigungen zahlen kann und auch kreditfähig bleiben dürfte,
sindAtomstromkonzerne wohl im Ernstfall völlig außerstande, die Schäden eines
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Schaden relativ zum Firmenvermögen, zu teuer und komplex die Fülle an Scha-
densersatzprozessen, für die ein Atomstromkonzern Rücklagen bilden müsste.
Aus ökonomischer Sicht bzw. im Interesse eines unverzerrten Wettbewerbs auf
dem Strommarkt ist es geboten, die Atomstromkonzerne auf eine umfassende
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rung für einen Super-GAU bedeutet so hohe Atomstromproduktionskosten, dass
wohl alle Atomkraftwerke in der EU nicht mehr wettbewerbsfähig wären. Tat-
sächlich aber hatte der Atomstrom in Deutschland einen Marktanteil von über
22% in 2010, in Frankreich gar von 75%; die ökonomische Unlogik dieser im
EU-Binnenmarkt gewachsenen Marktanteile ist etwa so bestechend wie die Be-
hauptung, dass am Nordpol natürlicherweise der Anteil von Braunbären zwi-
schen 1/5 und 3/4 liegen würde.