Seite 42 - Schumpeter School Alumni e.V. Jahresmagazin 2010

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Energiewende
nach
Fukushima
Schumpeter School of Business and Economics/Wissenschaft - aus aktuellem Anlass
In einer funktionsfähigen Marktwirtschaft gelten vernünftigerweise Wettbewerb
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gemessen und differenziert nach der Höhe der Risiken zu versichern. Wettbewerb
ist ein dynamischer Entdeckungsprozess mit Chancen und Risiken, wobei den
Kapitaleignern der Gewinn als eine am Markt verdiente Einkommenskategorie
zufällt. Allerdings gilt es hierbei auch Risiken selbst zu tragen und, soweit Risiken
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vorzusehen. Für den Umgang mit Risiken haben sich Versicherungsmärkte ent-
wickelt; kommerzielle Rückversicherer bieten jedoch keine Absicherung gegen
einen Super-GAU, da das Schadensrisiko als zu groß erscheint. Dies schließt
allerdings nicht aus, dass Atomkraftwerke zumindest bis zu einer Schadenshöhe
von etwa 600 Milliarden Euro versichert werden könnten - wenn denn der Gesetz-
geber dies verlangt. Als Leitbild der Marktwirtschaft gilt ein Leistungswettbe-
werb, in dem die Kosten der Produktion - inklusive Versicherungs- bzw. Risiko-
prämien am Markt zu verdienen sind. Diese Prinzipien sollten vernünftigerweise
auch für die Stromwirtschaft gelten. In der Realität ist dies jedoch Fehlanzeige:
(1) Die Atomstromproduktion ist mit dem besonderen Risiko behaftet, dass es bei
einem sehr schweren Kraftwerksunfall bzw. Super-GAU zu Schäden in Höhe von
5000 bis 6000 Mrd. € kommen kann, also mehr als dem Doppelten des jährlichen
Bruttoinlandsproduktes Deutschlands; ein mittlerer Schadensfall wie beim Fu-
kushima-Kraftwerksunfall in 2011 bringt eine Schadenssumme in einer Größen-
ordnung von 50-200 Mrd. €. Die aus den frühen 90er Jahren stammenden Schät-
zungen der Schadenskosten für einen Super-GAU durch die Autoren EWERS/
RENNINGS, die bei ca. 5000 Mrd. € lagen und im Kern nur Evakuierungskosten
und Zusatzkosten des Gesundheitssystems betrachteten, sind um durch Störungen
von Produktion bzw. Außenwirtschaftsbeziehungen sich ergebende Schadenska-
tegorien zu erweitern. Die Schadensrechnung für eine sehr schwere Havarie in
einem Atomkraftwerk beläuft sich dann auf etwa 6000 Mrd. €. Die Reichweite
der Schäden kann durch Wasseraustritt und luftförmige radioaktive Emissionen
potenziell alle Regionen der Welt treffen. Zudem ist die Dauer der Schädigung
durch Austritt von Plutonium enorm, denn dessen Halbwertszeit beträgt 24 000
Jahre. Es gibt keinerlei der Atomstromproduktion vergleichbare Produktionsak-
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von Atomkraftwerken in Deutschland und den USA liegt mit 2,5 Mrd. € bzw.
etwa 10 Mrd. € bei nicht einmal 1% eines Super-GAU-Schadensfalls. Zu fragen
ist, ob es zulässig sein kann, dass der Staat in Deutschland den Umweltschutz
als Staatsziel im Grundgesetz verankert und zugleich der Atomstromindustrie als
einem möglichen Verursacher sehr massiver Umweltschäden erlaubt, den größ-
ten Teil einer denkbaren bzw. zu erwartenden Mega-Schädigung nicht zu versi-
chern. Da bei einem Super-GAU das betroffene Unternehmen keinesfalls mehr
kreditwürdig wäre, fällt eben der allergrößte Teil der Entschädigungsaufwendun-
gen auf den Staat; der Staatshaushalt eines Landes wie Deutschland würde auf
Jahrzehnte mit so großen Entschädigungszahlungen konfrontiert werden, dass
der Bund keinerlei Ausgabenspielräume mehr hätte bzw. massive Steuererhö-
hungen notwendig wären (die Versicherungsprämie durch die Hintertür). Dies
lässt ernste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit eines Atomkraftbetriebes mit
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felhaft, dass der Staat überhaupt berechtigt ist, eine solche Gefährdungslage hin-
zunehmen, ohne dass eine erkennbare strukturelle Energienotlage als Grund für
eine derartig risikobehaftete Form der Stromerzeugung angeführt werden kann.
Foto: Prof. Dr. Welfens