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PUT Nr.
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FOrschungsmagazin der Bergischen UniversitätWuppertal
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Wintersemester 2012/2013
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Die erwähnten Arbeiten von ´t Hooft und Veltman
waren nicht nur wegen ihres Ergebnisses bahnbrechend:
Die von ihnen entwickelten theoretischen Werkzeuge
gehören bis heute zu den elegantesten und effizientes-
ten Rechenmethoden in der Elementarteilchenphysik.
Sie erlauben es, die abstrakt formulierte Theorie des
Standardmodells in konkrete physikalische Observable
zu übersetzen. Der Vergleich mit den entsprechenden
experimentellen Messungen ist bislang stets erfolgreich
verlaufen; das Standardmodell ist zum Teil auf Sub-
Promille-Niveau überprüft.
Die Rechnungen werden in einem systematischen
Näherungsverfahren durchgeführt, der sogenannten
Störungstheorie. Die gröbste Näherung, auch „führende
Ordnung“, kurz LO (vom Englischen: Leading Order)
genannt, erfordert meist nur eine einfache Rechnung
und gehört mittlerweile zum Kanon einer regulären
Vorlesung im Masterstudiengang der Physik; je höher
die Ordnung (NLO = Next-to-Leading Order usw.),
desto komplizierter – aber auch genauer – die Rech-
nung. Heute sind fast alle gängigen Observablen, die am
LHC gemessen werden können, auf NLO bekannt, die
wichtigsten sogar auf NNLO; nur sehr wenige in noch
höherer Ordnung.
Weshalb sind Rechnungen höherer Ordnungen so
wichtig? Zum einen sind die LO oder NLO oft einfach
zu unpräzise; auf diesen Aspekt kommen wir weiter un-
ten zu sprechen. Ein entscheidender Punkt ist aber auch,
dass prinzipiell alle Komponenten des Standardmodells
in die Berechnung jeder Observablen eingehen. Gemäß
der Quantentheorie wird Wechselwirkung durch den
Austausch von Teilchen vermittelt. In niedrigster Ord-
nung wird beispielsweise die Streuung von Elektronen
aneinander durch den Austausch eines Photons ver-
mittelt. In höherer Ordnung werden immer mehr und
immer andere Teilchen zwischen den Elektronen aus-
getauscht. Die theoretische Vorhersage selbst einer ein-
fachen Streureaktion wird dadurch abhängig von den
Eigenschaften (Masse, Ladung, Spin) aller Teilchen des
Standardmodells.
Auf diese indirekte Weise konnte man durch den Ver-
gleich enorm präziser Messdaten von LEP (in gewisser
Weise das Vorgänger-Experiment des LHC am CERN)
mit den entsprechenden, zum Teil höchst aufwändigen
theoretischen Berechnungen die Masse M
H
des Higgs-
Bosons mit 95% Wahrscheinlichkeit auf einen Wert un-
terhalb von 160 GeV einschränken (1 GeV entspricht in
etwa derMasse eines Protons). Dies ist perfekt kompatibel
mit der Masse des neu am LHC beobachteten Teilchens.
Wie sieht die Suche nach dem Higgs-Boson an Teil-
chenbeschleunigern aus? Vereinfacht ausgedrückt: Man
sucht nach einem Signal – im Optimalfall ein Peak – in
einer geeigneten Verteilung von Datenpunkten. Bei-
spielsweise suchte man am Tevatron, einem Proton-
Antiproton-Beschleuniger am Fermilab bei Chicago,
hauptsächlich nach einem Signal in der Energie-Vertei-
lung der wohlbekannten W-Bosonen, die bei den Stö-
ßen entstehen (eigentlich W-Boson-Paare). Ein solches
Signal könnte dann dadurch erklärt werden, dass einige
der W-Bosonen aus dem Zerfall eines kurzzeitig erzeug-
ten Higgs-Bosons kommen. Die Theorie erlaubt es vor-
herzusagen, wie viele Stoßreaktionen man durchführen
muss, bis das Signal so groß ist, dass es sich signifikant
vom Untergrund (also von W-Paaren, die nicht aus dem
Higgs-Zerfall resultieren) abhebt – vorausgesetzt, das
Higgs-Boson existiert.
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Ist es das Higgs-Boson? Die Rolle der Theorie