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PUT Nr.
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FOrschungsmagazin der Bergischen UniversitätWuppertal
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Wintersemester 2012/2013
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stellung neuen Wissens mündet in neue Teildiszipli-
nen. Allerdings erfasst die differenzierungstheoretisch
geprägte Wissenschaftsforschung nur den Endpunkt
von häufig langwierigen und zudem konfliktreichen
Prozessen der Ablösung und Verselbständigung neuer
Forschungsgebiete. Die faktischen Prozesse und Me-
chanismen, die bei der Durchsetzung innovativer Pro-
blemlösungen eine führende Rolle spielen, sind bislang
weitgehend im Dunkeln geblieben.
Allerdings wurden in den letzten Jahren in der neu-
eren Politischen Ökonomie Konzepte entwickelt, wie
Prozesse der institutionellen Erneuerung gesellschaft-
licher Sektoren sowohl theoretisch als auch empirisch
zu erfassen sind. Die am Massachusetts Institute of
Technology MIT tätige Politologin Kathleen Thelen
und der am Max-Planck-Institut für Gesellschafts-
forschung in Köln tätige Soziologe Wolfgang Streeck
haben in diesem Zusammenhang die Vorstellung ge-
prägt, dass der Wandel institutioneller Strukturen in
aller Regel schrittweise und graduell abläuft, dass die
Resultate dieses Wandels aber die bestehenden Struk-
turen grundlegend verändern können. Zu den von
Thelen und Streeck identifizierten graduellen Wand-
lungsprozessen gehören „Aufschichtung“, „Umwand-
lung“ und „Verdrängung“.
Diese drei Wandlungsprozesse können in Bezug auf
die Erneuerung der Forschung erläutert werden. Er-
wähnt wurde bereits, dass es um das Kräfteverhältnis
von Innovatoren und Establishment geht. Daher ste-
hen bei Wandlungsprozessen der Forschung zwei Fra-
gen im Zentrum – nämlich erstens, ob die Innovatoren
eigene Forschungsmöglichkeiten trotz Widerstands
des Establishments aufbauen und durchsetzen
he ability to establish new, innovative research
fields plays a key role in the medium to long
term success of research institutes both in and outside
the university. But institutional change is marked by a
radical conflict between those who seek to break out of re-
ceived disciplinary issues and thought patterns and those
who adhere to them. Using simple examples, this article
discusses the step-by-step strategies of layering, displace-
ment, conversion, and dismantling that can enable the
T
»
{ Innovative research and processes of institutional change }
protagonists of renewal to overcome the resistance of the
establishment. These four processes of change are current-
ly being investigated in an empirical research project at
UW’s Chair of Organizational Sociology.
beschäftigen und im Rahmen eines kollektiv aner-
kannten Problemhorizonts arbeiten wollen. Der Or-
ganisationssoziologe James G. March von der Stanford
University hat für dieses Kräfteverhältnis das Begriffs-
paar
„exploration“
und
„exploitation“
geprägt.
Explo-
ration
bezeichnet die Suche nach neuem Wissen und
die Überschreitung des gegenwärtigen Know-hows.
Exploitation
bezeichnet die Verfeinerung des etablier-
ten Wissens und die Einpassung in vorhandene Denk-
muster.
Exploration
eröffnet neue Horizonte und Per-
spektiven,
exploitation
baut vorhandenes Wissen und
etablierte Technologien aus.
Das Spannungsverhältnis zwischen
exploration
und
exploitation
lässt sich von zwei Richtungen her unter-
suchen. Zunächst können wir danach fragen, welche
institutionellen Bedingungen die Entstehung heraus-
ragender wissenschaftlich-technischer Leistungen be-
fördern. In diesem Fall geht es um die Entstehungsbe-
dingungen innovativer Problemlösungen. Wir können
aber auch nach den Bedingungen der Verbreitung und
Diffusion fragen. Wenn das Neue bereits erfunden
wurde, wie setzt es sich gegen das Bestehende durch?
Wie gelingt es den Erneuerern, die Beharrungskräfte
des Establishments zu überwinden? Bei der Analyse
der institutionellen Erneuerung geht es in erster Linie
um die Durchsetzungsbedingungen innovativer Prob-
lemlösungen.
Die Wissenschaftsforschung behandelt die Durch-
setzung und Verbreitung neuer Forschungsfelder üb-
licherweise unter den Stichworten Differenzierung
und disziplinäre Spezialisierung. Demgemäß findet
die fortlaufende Erneuerung des Wissens entweder
innerhalb etablierter Disziplinen statt oder die Her-
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