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PUT Nr.
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FOrschungsmagazin der Bergischen UniversitätWuppertal
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Wintersemester 2012/2013
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mehr zu finanzieren. Die Kosten für die Gesundheits-
systeme werden aufgrund einer immer älter werdenden
Bevölkerung steigen, was beträchtliche gesellschaftliche
Zielkonflikte auslösen dürfte. Verlierer des bestehenden
Systems ist bereits heute die jüngere Generation. Die
zukünftig zu erwartenden sozialen Konflikte werden
sich um die Ausgestaltung und das Niveau von Sozi-
alstaatlichkeit (z. B. den Zugang zur Gesundheitsver-
sorgung, zu den Pflegesystemen, die Höhe der Renten,
den Umfang anderer Versorgungsleistungen etc.) dre-
hen. Begleitet werden diese Prozesse von einem Wan-
del der Familienformen, der auch den Generationen-
vertrag erodieren lässt, so dass die intergenerationelle
Verteilungsgerechtigkeit neu justiert werden muss. Die
sozialen Konflikte können dabei wahlweise als Vertei-
lungs- oder Generationskonflikte, als Versorgungs- oder
Einkommenssicherungskonflikte auftreten. Sie werden
die Integrations- und Kohäsionskräfte des Sozialstaats
auf eine harte Probe stellen, zumal auch hier Kosten und
Nutzen sehr ungleich verteilt sein werden.
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In politischer Hinsicht werden sich die demographi-
schen Veränderungen im System der politischen Partei-
en und der Repräsentation von Interessen niederschla-
gen. Nicht nur, dass es in Europa bereits wiederholt zu
Versuchen gekommen ist, über sog. Seniorenparteien
dauerhaft parteipolitische Interessenvertretungen älte-
rer Menschen zu etablieren, durch die Alterungsprozesse
der Mitglieder in den Parteien werden auch die Schwer-
punkte der politischenArbeit sukzessive verschoben. Die
veränderte Altersstruktur der Parteimitglieder könnte in
eine mangelnde politische Durchsetzungsfähigkeit zu-
kunftsorientierter Interessen münden oder die bisherige
Abkehr der Jüngeren von den traditionellen politischen
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Parteien verstärken. Entsprechende Konflikte würden
in Form von Teilhabekonflikten bzw. Konflikten um
Mitspracherechte münden, aber auch genuin politische
Fragen wie Migration (Zuwanderung) und intergenera-
tionelle Gerechtigkeit (Lastenverteilung) betreffen.
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Schließlich gehen mit der Alterung der europäischen
Gesellschaften auch kulturelle Konflikte einher (z.B.
Verständigungsmöglichkeiten zwischen den Generati-
onen, Fragen der Anerkennung, der Teilhabemöglich-
keiten sowie eine Vielzahl offener oder verdeckter Dis-
kriminierungsmuster zwischen Jung und Alt). Hieraus
ergeben sich nicht zuletzt auch beträchtliche Gewaltpo-
tenziale gegen ältere oder pflegebedürftige Menschen,
die mal Formen direkter physischer Gewalt beinhalten,
mal „nur“ Aspekte von Vernachlässigung und Verwahr-
losung umfassen können.
Demographische Aspekte und Prozesse beeinflussen
die Entwicklungsmöglichkeiten von Gesellschaften also
in vielfacher Art und Weise. Die Zusammenhänge und
Wirkungsmechanismen sind dabei selten monokau-
sal, sondern meistens komplex und interdependent, sie
besitzen Wechselwirkungen aufeinander. Das eingangs
erwähnte „demographische Jahrhundert“ wird allem
Anschein nach ein konfliktives Jahrhundert. Deshalb
kommt es darauf an, die komplexen Zusammenhänge
zwischen Demographie, Entwicklung und Konflikt zu
verstehen, um Antworten auf die sehr unterschiedlich
gelagerten „demographischen Fragen“ zu finden.
{ The conflict potential of demographic developments }