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PUT Nr.
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FOrschungsmagazin der Bergischen UniversitätWuppertal
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Wintersemester 2012/2013
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von Gesellschaften für soziale Konflikte schon länger be-
kannt, ihre politische Dramatik erhielt sie aber erst durch
Samuel Huntingtons Zuspitzung einer perzipierten Ge-
waltbereitschaft in der islamischenWelt auf spektakuläre
Raten des Bevölkerungswachstums im Gefolge von 9/11
und Gunnar Heinsohns Popularisierung des Zusam-
menhangs eines hohen Anteils männlicher Jugendlicher
und dem Kriegspotenzial von Gesellschaften. Zwar sind
diese recht simplen, monokausalen Erklärungen schnell
als Artefakte und Scheinkorrelationen entlarvt worden,
aber nachfolgende empirische Untersuchungen haben
die These von den „youth bulges“ durch die Berücksich-
tigung intervenierender Variablen lediglich differenziert.
Viele Autoren (z.B. Urdal, Kröhnert, Wagschal und Cin-
cotta et al.) gehen davon aus, dass „youth bulges“ das
Konfliktrisiko erheblich steigern. Diesbezügliche em-
pirische Untersuchungen haben den demographischen
Faktor dabei auch mit anderen Faktoren in Beziehung
gesetzt, weitere Aspekte als Risikofaktoren berücksichtigt
oder methodisch andere Bezugsgrößen gewählt, um die
Konfliktträchtigkeit von Gesellschaften zu messen. Ins-
gesamt sind hier weitere systematische empirische Ana-
lysen zum Zusammenhang von Bevölkerungswachstum
und der Konfliktintensität von Gesellschaften notwen-
dig, um zu abschließenden Ergebnissen zu kommen.
Aber auch unterhalb der Schwelle gewaltsamer Aus-
einandersetzungen lassen sich aufgrund von demogra-
phischen Entwicklungen vielfältige Konfliktpotenziale
ausmachen. In den Entwicklungsgesellschaften – vor-
nehmlich in Afrika südlich der Sahara – lässt sich das
anhaltende Bevölkerungswachstum im Grunde auf drei
sich akkumulierende Faktoren zurückführen: höhere
Fertilitätsraten, hoher Jugendanteil und seine Impli-
»
kationen, Alterungsprozesse der Gesellschaften. Dieses
Bevölkerungswachstum ist ein Problem, weil es die Zahl
der Menschen in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum
dramatisch erhöht und damit die vorhandenen staatli-
chen und gesellschaftlichen Institutionen überfordert.
Zweitens ist das rasche Bevölkerungswachstum proble-
matisch, weil es die verfügbaren Ressourcen übersteigt
und auf soziale und ökonomische Verhältnisse trifft, die
alles andere als geeignet erscheinen, die hohen Bevölke-
rungszuwächse zu absorbieren. Die demographischen
Prozesse dort bergen ein beträchtliches Konfliktpotenzial
zwischen ganz verschiedenen Akteursgruppen:
·
·
Schnelles Bevölkerungswachstum verursacht Stress
im Ökosystem (Ressourcenvernutzung, Nahrungsmit-
telproduktion und -sicherheit, Landverteilung, Zugang
zuWasser und Umweltverschmutzung haben einen star-
ken demographischen Bezug) und sorgt so für Ressour-
cen- und Verteilungskonflikte.
·
·
Schnelles Bevölkerungswachstum wirkt sich belas-
tend auf Ökonomie und Gesellschaft aus, weil Regie-
rungen verstärkt in Ausbildung, Erziehung, Gesundheit,
Arbeitsmärkte etc. investieren müssten, um eine wach-
sende Bevölkerung sozial, ökonomisch und politisch
zu integrieren. Häufig übersteigen jedoch die Notwen-
digkeiten die Mittel um ein Vielfaches – erbitterte Kon-
kurrenzkämpfe um Ausbildungsplätze und auf den Ar-
beitsmärkten sind die Folge. Wachsende Arbeitslosigkeit
und ein sich ausweitender informeller Sektor wirken
konfliktverschärfend.
·
·
Schnelles Bevölkerungswachstum macht auch Gene-
rationenkonflikte wahrscheinlich, weil sich die gesell-
schaftliche Lastenverteilung sukzessive zu Ungunsten
der Jüngeren verändert und weil die Älteren immer
Tab. 1: AusgewählteWeltbe-
völkerungsindikatoren. Quelle:
Berlin Institute for Population
and Development: Europe’s
Demographic Future, S. 3;
Berechnungen nach United
Nations.
*Projektionen.
Tab. 1: Selected world popula-
tion indicators. Source: Berlin
Institute for Population and
Development: Europe’s Demo-
graphic Future, 3; based on
United Nations calculations.
*projections [projected figures]
Europa Russland
USA
und Kanada
Lateinamerika
und Karibik
Asien Afrika
Bevölkerungszahl (in Mio.)
2007 591
142
335
569
4.010 944
2050* 542
112
438
783
5.217 1.937
Veränderung 2007/2050 (in %)
-8,3
-21,1
30,7
37,6
30,1 105,2
Durchschnittsalter
2005 38,9
37,3
36,3
26,0
27,6
19,0
2050* 47,3
43,5
41,5
39,9
39,9
27,4
Fertilitätsrate
2006 1.50
1.34
2.00
2.50
2.40
5.00
Bevölkerung unter 15 Jahre (in %)
2007
16
15
20
30
28
41
2050* 15
17
17
18
18
29
Bevölkerung über 65 Jahre (in %)
2007
16
14
12
6
6
3
2050* 28
24
22
19
18
7
Lebenserwartung
2006 76.0
65.5
78.5
73.3
68.0
53.0
2050* 82.0
72.9
82.7
79.5
77.2
65.4
{ The conflict potential of demographic developments }