Seite 31 - Output7

Basic HTML-Version

BUW.
OUT
PUT Nr.
8
FOrschungsmagazin der Bergischen UniversitätWuppertal
/
Wintersemester 2012/2013
31
der Zeitschrift Foreign Affairs – jenseits deutscher Auf-
geregtheiten – den gelungenen Versuch, demographische
Aspekte mit sozioökonomischen Entwicklungstrends
zusammenzubringen, um darüber politische Machtver-
schiebungen in der Welt des 21. Jahrhunderts zu erklä-
ren. Den Europäern (insbesondere Deutschland) droht
angesichts der schwachen Geburtenraten und der suk-
zessiven Überalterung ihrer Gesellschaften nicht nur ein
dramatischer Bevölkerungsrückgang, sondern angesichts
der Langfristigkeit von demographischen Prozessen der
kaum noch aufzuhaltende Absturz in die weltpolitische
Bedeutungslosigkeit.
Die Schlussfolgerung, die daraus zu ziehen wäre, hie-
ße: „Population matters!“ Zwar ist die demographische
Entwicklung allein sicher kein hinreichender Erklärungs-
faktor für derartig weitreichende Veränderungsprozesse.
Sehr wohl ist sie jedoch wichtig, wenn man die kom-
plexen Wechselwirkungen mit ökonomischen Prozes-
sen und sozialen Strukturen berücksichtigt, denn dann
entwickeln demographische Prozesse eine beträchtliche
Dynamik und Sprengkraft. Bevölkerungsprobleme und
demographische Konflikte entstehen ja gerade durch un-
erwünschte Auswirkungen der demographischen Ent-
wicklung auf Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Um-
welt. Die Bevölkerungsentwicklung ist dabei wesentlich
das Ergebnis von drei Faktoren: den Geburtenraten, den
Sterberaten und der Migration. Kommt es zu Ungleich-
gewichten zwischen Fertilität und Sterblichkeit, dann
können diese nur über Wanderungsbewegungen ausge-
glichen werden.
Historisch betrachtet wuchs über die längste Zeit
der Menschheitsgeschichte die Bevölkerung nur sehr
langsam. Um die Zeitenwende lebten lediglich etwa
»
D
{ The conflict potential of demographic developments }
emographic developments are increasingly seen
today in the light of their impact on social con-
flict and violence. While the aging populations of the
industrialized West are causing significant problems of
adaptation, the young societies of many developing coun-
tries are overstretching available resources. Examining
contrary development processes, the following article seeks
to show the implications of demographic developments
for the integration and disintegration of societies, and the
conflicts that may in future arise from these processes. The
author has long research experience in this field and is
currently preparing a comparative research project.
D
er demographische Wandel ist in aller Munde.
Die Frage, wie sich die Bevölkerungszahlen, die
Zusammensetzung einer Bevölkerung und deren zu-
künftige Entwicklung in einzelnen Ländern, aber auch
weltweit darstellen, und welche Konsequenzen dies je-
weils hat, ist unter Sozialwissenschaftlern und Demogra-
phen heftig umstritten. In Deutschland stehen sich dabei
sog. Bevölkerungsoptimisten, Bevölkerungspessimisten
und unterschiedlich geartete neutrale Positionen gegen-
über. Denn inzwischen ist nicht nur deutlich geworden,
dass ein hohes Bevölkerungswachstum Gesellschaften
vor große Herausforderungen stellen kann, sondern
auch eine schrumpfende Bevölkerung beträchtliche so-
zialstrukturelle Verwerfungen mit sich bringt. Zusätzlich
kompliziert werden die Verhältnisse dadurch, dass die
Bevölkerungsentwicklungen etwa in Europa und Afrika
vollkommen gegensätzlich verlaufen: Hier eine insge-
samt schrumpfende und überalterte Bevölkerung, dort
eine junge und stark expandierende Bevölkerung. Die
Probleme, die damit einhergehen, lassen es als angemes-
sen erscheinen, vom kommenden 21. Jahrhundert auch
als einem „demographischen Jahrhundert“ zu sprechen.
Die Bedeutung dieses Ausdrucks wird durch folgende
zwei Episoden unmittelbar einsichtig: Landet man ein-
mal auf einem afrikanischen Flughafen, wird einem das
für solche Orte typische Gewusel auffallen. Erst beim
zweiten Blick bemerkt man, dass man von lauter jun-
gen Menschen umgeben ist, ältere Menschen sind eher
selten. Kehrt man zurück nach Deutschland, dann ist
das vorherrschende Bild das des gesetzten middle agers,
junge Leute bilden hier die Ausnahme.
Jack Goldstone unternimmt in einem kürzlich veröf-
fentlichten Aufsatz über „The New Population Bomb“ in
2