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PUT Nr.
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FOrschungsmagazin der Bergischen UniversitätWuppertal
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Wintersemester 2012/2013
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vorhanden sind, ist insbesondere Aufschichtung wahr-
scheinlich. Längsschnittanalysen, also Analysen einer
größeren Zeitspanne öffnen dagegen den Blick für die
Verknüpfung und Kombination verschiedener gradu-
eller Entwicklungsschritte. In diesem Zusammenhang
ist dann auch ein weiterer wichtiger Befund zu sehen:
das zweite Gedankenexperiment verdeutlicht, dass
zwischen Prozessen und ihren Resultaten unterschie-
den werden muss. Aufschichtungsprozesse führen
langfristig nicht notwendigerweise zu einer bloßen
Aufschichtung neuer Forschungsfelder auf die etab-
lierte disziplinäre Matrix; sie können auch der Beginn
eines langfristig angelegten Verdrängungsprozesses
sein, in dem Forschungskapazitäten von Feld A nach
Feld B verschoben werden.
Die Konzepte von Thelen und Streeck und ihre An-
wendung auf die Wissenschaftsforschung wurden vor
wenigen Jahren entwickelt. Daher gibt es gegenwärtig
nur wenig empirisch gesichertes Wissen. Es ist aber zu
vermuten, dass Aufschichtung relativ schnell zu einer
Erneuerung der Forschung führt und aufgrund ihrer
relativ geringen Konfliktträchtigkeit auch am Anfang
vieler Erneuerungsprozesse steht. Weil Aufschichtung
aber ein substanzielles Ressourcenwachstum voraus-
setzt, wird die Erneuerung der Forschung überall dort,
wo sie keine neuen Ressourcen mobilisieren kann, ei-
nen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Vor al-
lem Verdrängungsprozesse dauern relativ lange. Inno-
vatoren brauchen daher einen langen Atem.
www.fbg.uni-wuppertal.de/faecher/soziologie
Institutionelle Erneuerung der Forschung
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Die Pointe bei dieser Betrachtung liegt darin, dass
die vier Prozesse Elemente eines übergreifenden Wand-
lungsprozesses sind, der die Verdrängung des etablier-
ten Feldes A durch ein neues Feld B beinhaltet. Der
fünfzehn Jahre dauernde Gesamtprozess beginnt mit
Aufschichtung, er wird fortgesetzt mit Verdrängung,
gefolgt von Auflösung und schließlich Umwandlung.
Es ist anzunehmen, dass Aufschichtung am wenigsten
konfliktträchtig ist. Die Investition in neue Forschungs-
kapazitäten für das Feld B bietet die komfortable Situa-
tion, dass das Establishment in Feld A in der Substanz
nichts verliert. Danach vergehen mehrere Jahre, bis es
zu einem weiteren Entwicklungsschritt kommt, bei dem
dann zum ersten Mal Besitzstände des Establishments
angetastet werden. Mit Abschluss des dritten Entwick-
lungsschritts hat Feld A bereits vier Professuren verlo-
ren, während Feld B insgesamt vier erhalten hat. Das Es-
tablishment in Feld A ist nach zehn Jahren (1990–2000)
bereits erheblich geschwächt. Unter der Annahme, dass
Feld A durch sechs Professuren an der Universität ver-
treten ist, trägt der Wechsel zweier Wissenschaftler in
das neue Feld B in 2004 nicht nur zur weiteren Verdrän-
gung von Feld A bei, sondern er ist gleichbedeutend mit
dessen vollständiger Auflösung.
Was können wir aus diesen Betrachtungen lernen?
Zunächst einmal hängt bei der Analyse von Erneu-
erungsprozessen der Forschung viel vom gewählten
zeitlichen Rahmen ab. Querschnitts-Betrachtungen,
also Analysen eines einzelnen Jahres oder nur weni-
ger Jahre öffnen den Blick für die Kräfteverhältnisse
zwischen Innovatoren und Establishment in konkre-
ten Situationen. Für den Fall, dass das Establishment
über Vetomacht verfügt und genügend Ressourcen