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PUT Nr.
8
FOrschungsmagazin der Bergischen UniversitätWuppertal
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Wintersemester 2012/2013
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Allein die Tatsache, dass jetzt ein neutrales skalares
Teilchen beobachtet wurde, dessen Masse mit den Er-
wartungen für ein Higgs-Boson kompatibel ist, stellt
einen riesigen Erfolg für die Physik dar. Ohne diesen
Fund wäre unser Verständnis von der Physik und den
zugrundeliegenden Theorien ernsthaft in Frage gestellt.
Die Forderung nach Schlüssigkeit der Theorie sowie die
Übereinstimmung von Präzisionsdaten und -vorhersa-
gen ließen die Existenz eines solchen Teilchens in den
letzten Jahren immer zwingender erscheinen.
Es wird kaum eine Teilchenphysikerin oder einen
Teilchenphysiker geben, die oder der das neue Boson
nicht für ein „Higgs-artiges“ Teilchen hält. Die meisten
werden jedoch darauf hoffen, dass es sich dabei nicht ge-
nau um das Higgs-Boson des Standardmodells handelt.
Schließlich hat letzteres einige offensichtliche Schwach-
punkte. So beschreibt es weder Dunkle Materie noch
Dunkle Energie; überhaupt bleibt die Gravitation als
fundamentale Wechselwirkung völlig ausgespart. Da-
neben erscheinen viele der freien Parameter des Stan-
dardmodells nicht wirklich zufällig, sondern folgen ku-
riosen Mustern, für die man keine Erklärung kennt. Die
Vermutung, dass das Standardmodell nur eine „effektive
Beschreibung“ einer weit tiefergehenden Theorie ist,
die obige Phänomene beinhaltet und erklärt, ist nicht
nur sehr attraktiv, sondern sogar naheliegend. Mit der
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Vermessung des neuen Teilchens und demVergleich mit
theoretischen Vorhersagen, die in alternativen Theorien
gewonnen werden, könnte sich gerade ein riesiges Fens-
ter zu „neuer Physik“ geöffnet haben.
In der „LHC Higgs Cross Section Working Group“
haben sich mehr als 100 Theoretiker und Experimen-
tatoren zusammengeschlossen, um die theoretischen
Resultate der Higgs-Physik am LHC zu erarbeiten, zu
diskutieren und zu dokumentieren. Die dort gesam-
melten Ergebnisse werden von den Experimenten für
die offiziellen Analysen verwendet. In unserer Gruppe
produzieren wir dafür weiterhin wichtige Resultate aus
der Theorie, insbesondere Vorhersagen für Wirkungs-
querschnitte der dominanten Prozesse (die sogenannte
„Higgs-Strahlung“, „Gluonfusion“, „Bottom-Quark-
Fusion“ u. a.), sowohl im Standardmodell als auch in
weiterführenden Theorien (beispielsweise der Super-
symmetrie). Erst wenn eine hinreichende Zahl von Ob-
servablen den Vergleich zwischen Theorie und Experi-
ment besteht, können wir sicher sein, ob es sich bei dem
neuen Teilchen wirklich um das Higgs-Boson handelt,
ob es nur eines von mehreren Higgs-artigen Teilchen ist
oder vielleicht doch etwas völlig Unerwartetes. Eines ist
sicher: Wir leben in einer sehr spannenden Epoche der
Teilchenphysik!
http://particle.uni-wuppertal.de/harlander/
Abb. 4: Energie-Spektrum von Photon-
Paaren beim ATLAS-Experiment. Die
Position des Signals entspricht der
Masse des neuenTeilchens (126 GeV).
Die Höhe des Signals stimmt gut mit
der theoretischen Vorhersage überein.
Quelle und Einzelheiten: Phys.Lett.
B716 (2012) 1-29, http://arxiv.org/
abs/1207.7214
Fig. 4: Energy spectrum of photon
pairs in the ATLAS experiment.The po-
sition of the signal matches the mass
of the new particle (126 GeV).The
height of the signal is a good match
with theoretical predictions.
Source: Phys. Lett. B716 (2012) 1-29,
http://arxiv.org/abs/1207.7214
{ Is it the Higgs boson? – The role of theory }